Glas ist ein Material, das uns ständig umgibt. Wenn wir durstig sind, nehmen wir bevorzugt das Trinkglas in die Hand. Wenn wir in einem Gebäude sind, möchten wir nach draußen blicken können und natürliches Licht nutzen, welches durch Fensterglas hereinscheint. Glas ist also aus unserem Leben nicht wegzudenken – ohne geht es nicht. Der Umgang mit Glas geschieht meist unbewusst. Glas ist schließlich einfach da und nichts Außergewöhnliches, oder?
Lukas Spindler, stellvertretende Leitung am Technologie-Anwender-Zentrum (TAZ) in Spiegelau, ist anderer Meinung. „Glas ist ein super spannender Werkstoff und auf der anderen Seite vielfältig als Forschungsbereich“. Oft findet man Glas an Stellen eingesetzt, an denen man es nicht vermuten würde, so wie in Straßenbelägen oder in Batterien als Separator zur Trennung von Negativ und Positiv. Er und das Team am TAZ betreiben Forschung im Bereich Glastechnologie mit besonderem Augenmerk auf nachhaltiges Wirtschaften sowie innovative Werkstoffe und Prozesse. Für Lukas hat sich die Aufgabe am TAZ dabei wie zufällig ergeben, da er zuvor eigentlich keinen Bezug zu Glas hatte. Nach dem Studium in den Bereichen Wirtschaftsingenieurwesen und Energietechnik brachte ihn eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit den Schwerpunkten Prozesssimulation und Lean Management an das TAZ. Hier wuchs er mit der Zeit in den Forschungsbereich Glastechnologie und bekam die Möglichkeit eine Leitungsposition einzunehmen. „Natürlich ist so eine Führungsposition immer auch mit Verantwortung und Druck verbunden, aber wenn man ein wenig Gespür dafür bekommt, dann macht das wirklich auch Spaß ein Team zu leiten“, meint Lukas. Mittlerweile fühlt er sich in der wissenschaftlichen „Glaswelt“ heimisch.
Zwischen Tradition und Modernität – das TAZ Spiegelau
Doch wieso ist das TAZ ausgerechnet in Spiegelau angesiedelt? Lukas erklärt, dass das unter anderem historisch bedingt ist. In dem in der idyllischen Wanderregion Bayerischer Wald gelegenen Ort wurde schon vor 800 Jahren mit der Produktion und Verarbeitung des Werkstoffes Glas begonnen. Das TAZ führt also die lokale Tradition fort, wobei es versucht, auf die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren. Die Herstellung von Glas ist ein unglaublich energieintensiver Prozess, der viel Optimierungspotential bietet. Eines der Alleinstellungsmerkmale am TAZ ist die Infrastruktur mit vollelektrischer Glasschmelze und die Forschung in diesem Bereich. Ziel ist es, künftig umweltfreundlichere Prozesse einzusetzen und sich nicht mehr rein auf den Einsatz von Gas bei der Glasproduktion zu stützen. Dazu später mehr.
Das Besondere an ihrem Forschungsstandort ist die industrienahe Arbeitsweise. In all ihren Projekten versuchen sie stets die Industrie miteinzubinden und die realen Arbeitsprozesse der Wirtschaft schon in der Forschung so genau wie möglich nachzuempfinden. Auftragsforschung und Dienstleistungen machen dabei neben den Förderprojekten einen großen Teil ihrer Arbeit aus. Neben kleineren Anfragen wie Fehleranalysen beispielsweise von unsauberen Mundrändern bei Trinkgläsern, gibt es auch größere Aufträge, wie die Vorbereitung einer Schmelzwanne auf die Elektrifizierung oder neue Glasfarben. Der interessanteste Gegenstand, den sie bisher erforscht haben, war für Lukas die Bierflasche. Viele werden sich nun fragen, was es an so einem traditionellen Gegenstand denn noch zu erforschen gibt? Das Spannendste für Lukas ist die Vielfältigkeit eines solch alltäglichen Produkts. Auf wissenschaftlicher Seite gibt es hier noch viel zu entdecken, zum Beispiel wie das Produkt chemisch zusammengesetzt ist oder wo noch Optimierungsschritte bei der Produktion zu finden sind. „Sowas schaut man sich als normaler Nutzer von dem Produkt nicht an“, erklärt er.
GABy und das Glas ohne Gas
GABy soll dabei helfen, Gläser künftig nachhaltig herzustellen. Doch wer ist eigentlich GABy? Die richtige Frage ist hier nicht wer, sondern was. Die Abkürzung steht für Glas Allianz Bayern. Diese wird vom TAZ Spiegelau und der Universität Bayreuth als Kooperationspartnerin betreut und umfasst momentan 29 Firmen aus ganz Bayern. Die Industriepartner stellen dabei ein breites Feld dar, von Glasherstellern, Glashütten und Zulieferern über beispielsweise auch das Kunstgewerbe. Entstanden ist das Projekt aufgrund der Notwendigkeit von Resilienz und des steigenden Bedarfs an CO2-neutralen Technologien, denn Klimawandel und stetig steigende Gaspreise machen auch vor der Glasindustrie nicht halt. Auch hier muss zukünftig ein Arbeiten ohne fossile Brennstoffe möglich werden.
Im Mittelpunkt der Forschung stehen daher zwei große Bereiche: CO2-Neutralität und Resilienz. Beginnt man mit dem Themenfeld CO2-Neutralität, so ist hierbei die vollelektrische Schmelzwanne ein Kernelement, an dem am TAZ geforscht wird. Das Glasgemisch wird mittels Strom anstelle von Gas geschmolzen, um es weiterverarbeiten zu können. Die selbstaufgebaute elektrische Wanne hat dabei einen Technikumsmaßstab, also eine für Versuche angepasste Größe, und ist mit 120 Kilogramm Volumen pro Tag kleiner als herkömmliche Industriewannen, welche in der Behälterglasherstellung bis zu 450 Tonnen pro Tag fassen können. Der große Vorteil daran ist, vergleichsweise kostengünstige Versuche machen zu können und dabei auch Experimente auszuprobieren, die sich die Industrie nicht unbedingt erlauben kann. Dafür stehen in ihren fünf Laboren zudem unterschiedliche Möglichkeiten im Bereich Messtechnik und Analytik zur Verfügung. Die Ergebnisse könnten anschließend auf die großen Schmelzwannen der Industriepartner übertragen werden.
Vollelektrische Schmelzwanne am Forschungsstandort Spiegelau Einlegebereich der vollelektrischen Schmelzwanne
Aber nicht nur die Gerätschaften für die Herstellung können optimiert werden, sondern auch die Gemengebestandteile, aus denen sich Glas zusammensetzt. Normales Glas besteht aus drei Hauptkomponenten: Sand, Kalk und Soda. Die letzten beiden Bestandteile scheiden im Herstellungsprozess CO2 ab. Um dem entgegenzuwirken, wird aktuell nach Alternativen für Kalk und Soda gesucht. Auch Prozesse zum Binden von CO2 könnten künftig zum Einsatz kommen. Des Weiteren beschäftigt sich das Projekt GABy auch mit der Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit der Unternehmen. Neben ordentlichen Prozessbeschreibungen steht für Lukas Spindler dabei auch Demand Side Management, also die Ermittlung und Steuerung des Ressourcenverbrauchs, im Fokus. „Ich sehe das Projekt auf jeden Fall als Erfolg, weil wir an so vielen Stellen mit den Partnern zusammenarbeiten und jetzt schon Sachen aus dem Technologietransfer schaffen, die umgesetzt werden“, sagt Lukas. Zudem sieht er in diesem Projekt noch viel Potential zur Weiterführung in neuen Förderprojekten.
Probleme und Optimierungspotential im Glas-Recycling
Doch was ist eigentlich mit Glas, welches schon existiert? Wie kann dieses nachhaltig genutzt werden? Auch hierfür forscht das TAZ in den Projekten Glas Cycle und MaxScherben an Lösungen im Bereich Glas-Recycling und Stoffkreislauf. Jede und jeder kennt bestimmt folgende Situation: Beim Frühstück hast du das Marmeladenglas geleert. Der Korb mit dem angesammelten Altglas quillt schon über und du ziehst damit los zum nächsten Wertstoffhof. Dort angekommen wirfst du es in den dafür vorgesehenen Container, wobei Mitarbeitende genau darauf achten, dass nichts Falsches in den verschiedenen Containern landet. Aber wieso eigentlich? Glas ist doch Glas – da muss man doch nur nach Farben sortieren, oder? Nicht ganz. In die Container sollte nur normales Glas. Dieses ist anorganisch und silikatbasiert, das heißt kohlenstofffrei und mit Sand als Hauptbestandteil. Mögliche Speisereste, wie in diesem Fall die Marmelade oder Reste von einem Etikett, bringen Organik, also kohlenstoffhaltige Verunreinigungen, an das Glas. Deshalb muss es vor dem Recyclingprozess erst gereinigt und aufbereitet werden. Oftmals landen allerdings auch Bildschirmröhren oder Bleikristallgläser im Container. Darin enthaltene schädliche Stoffe wie Blei sollten jedoch unbedingt aus dem Glaskreislauf ferngehalten werden – doch wie kann das effektiv funktionieren? Hierbei arbeitet das Team einerseits daran, die Prozesse so zu optimieren, dass kein Blei in den Kreislauf gelangen kann, und andererseits daran, wie man etwaige Schwermetalle wieder aus der Schmelze herausbekommt.
Das aufbereitete und sortierte Glas sollte schließlich zu einem möglichst großen Teil wieder eingesetzt werden können. Denn das spart Energie und Zeit. Trinkgläser werden in der Behälterglasindustrie beispielsweise aus bis zu 90 Prozent recyceltem Glasanteil produziert. Dort wird aber fast ausschließlich mit Gaswannen gearbeitet. Lukas und sein Team erforschen daher, wie auch mit einer elektrischen Schmelze möglichst viel Glas rückgewonnen werden kann. Versuche zu unterschiedlichen Schmelzaggregaten sollen dabei helfen herauszufinden, wie groß der Anteil an verwendeten Scherben sein kann und ob sich damit nicht vielleicht sogar Glas aus 100 Prozent recyceltem Anteil herstellen lässt.
Ein weiteres Problem beim Recyclingprozess ist der Feinanteil. Je feiner das Glas, desto schwieriger wird es für die Anlagen diese zu sortierten und Verunreinigungen festzustellen. Es sollte daher dicker als 2,5 mm sein. Hierzu werden am TAZ Prozesse generiert, die wenig Feinanteil hervorbringen, oder solche simuliert, welche durch eine andere Aneinanderreihung der Geräte eine bessere Aussortierungsquote erreichen. Im aktuell laufenden Projekt MaxScherben wird zusätzlich untersucht, wie diese feinen Scherben effektiv wiederverwendet werden können. Hierbei wird der Kohlenstoffanteil, also die Verunreinigungen im Feinanteil, bestimmt, um Methoden zu entwickeln, damit dieser verringert und feine Scherben in der Glasherstellung stärker mit einbezogen werden können.
Verschiedene Scherbengrößen und - arten im Glasrecycling
5G, KI und Glas?
Wie könnte es auch anders sein, machen auch neue digitale Technologien vor der Glasforschung nicht halt. Obwohl das Hauptaugenmerk des TAZ auf anderen Schwerpunkten liegt, so werden neue Technologien in laufenden Projekten nicht außer Acht gelassen. Dabei geht es nicht nur um intelligente Regelmechanismen, damit der Mensch in einige Prozesse nicht eingreifen muss, sondern vor allem um die Wissenssammlung im Bereich Glastechnik. Oft ist Wissen in der Industrie an eine Person gebunden. Um dieses auch künftigen Mitarbeitenden und späteren Generationen zugänglich zu machen, könnte Künstliche Intelligenz beispielsweise in Form von Chatbots zum Einsatz kommen, die das gefütterte Wissen weitergeben. Hier stehen sie jedoch erst am Anfang.
Auch werden sich viele fragen, wie denn Glas und 5G künftig zusammenspielen könnten. In dem Projekt VIT5G werden unter anderem die Möglichkeiten von mit 5G-Technologien digital erstellten Zwillingen in der Industrie erforscht. Einerseits könnten Daten so schnell und kabellos zur Verfügung gestellt werden, was auch der Glasindustrie besonders im Bereich Wartung zugutekommen würde. Mit Hilfe von Augmented Reality Brillen wäre unter anderem die Übertragung von Wartungs- oder Montagehinweisen von einem deutschen Büro zu einem Glaswerk beispielsweise in Indien viel einfacher möglich. Andererseits helfen diese Technologien bei der Erfassung relevanter Daten. Durch Wärmebildkameras an Drohnen sind zudem Aufnahmen von natürlicher Wärme, Abwärme und Isolation der Schmelzwannen möglich, die bei den Prozessen, die meist über 1.200 Grad ablaufen, hilfreich für die Optimierung wären. Das Potential der Kombination von Glas und neuen Technologien ist durchaus gegeben, jedoch steckt dieses laut Lukas noch größtenteils in den Kinderschuhen.
Blick in die "Glaskugel"
„Die Glasindustrie der Zukunft wird klimaneutral und digitaler sein“, meint Lukas. Bis wann das genau Realität ist, kann er jedoch nicht mit Gewissheit sagen. Ein großer Punkt, welcher die Fortschritte in der Glasproduktion hemmt, sind die langen Laufzeiten der Glaswannen. Diese werden auf mindestens 1.200 Grad aufgeheizt und behalten diese Temperatur anschließend über ihre gesamte Lebensdauer von oftmals 8 bis 10 Jahren konstant bei. In dieser Zeit kann zwar eine neue Schmelzwanne, zum Beispiel eine elektrifizierte, geplant werden, jedoch dauert es bis zum Lebensende der alten Wanne, bis die Innovation tatsächlich zum Einsatz kommt. Als Energietechniker denkt Lukas noch einen Schritt weiter und würde sich wünschen, bald sogar an einer energiepositiven Glaswanne oder -fabrik zu forschen. Dabei geht es, ähnlich wie bei einem Passivhaus, darum, mehr Energie zu erzeugen als eigentlich benötigt wird. In den nächsten Jahren möchte er sich aus diesem Grund mehr auf die Thematik der energetischen Zukunft der Glasindustrie fokussieren.