Plastik ist praktisch und überall – aber es verursacht enorme Umweltprobleme. Weltweit entstehen jedes Jahr Millionen Tonnen Plastikmüll. Nur 9 Prozent davon werden laut OECD tatsächlich recycelt, fast 20 Prozent werden verbrannt, der Großteil landet in Deponien (49 Prozent) oder kommt in die Umwelt (22 Prozent). 2019 befanden sich etwa 140 Millionen Tonnen Plastik in den weltweiten Gewässern, 30 Millionen davon im Meer. 2060, so Prognosen, werden das 493 Millionen bzw. 145 Millionen Tonnen sein. Ein großes Hindernis beim Recycling: Plastikabfälle müssen sehr genau sortiert werden, damit aus ihnen wieder hochwertige Produkte entstehen können. Doch genau hier liegt das Problem. In Recyclinganlagen landen oft ganz unterschiedliche Kunststoffarten, manchmal auch unbekannte Materialien oder Mischungen. Diese sauber voneinander zu trennen ist aufwendig, teuer und technisch anspruchsvoll. Am Technologie Campus Grafenau haben wir eine Lösung entwickelt, die das Sortieren deutlich einfacher und effizienter machen könnte — dank Künstlicher Intelligenz (KI) und cleverer Datensimulation.
Das Problem: Wenig Daten, viele Plastikarten
Moderne Sortieranlagen nutzen Sensoren, zum Beispiel Nahinfrarot-Spektroskopie (NIR), um unterschiedliche Kunststoffarten zu erkennen. Besonders erfolgreich sind dabei Verfahren mit Deep Learning, also KI-Modelle, die selbstständig aus Daten lernen. Aber: Solche Modelle brauchen normalerweise sehr viele Messdaten, um gut zu funktionieren. In der Praxis ist es aber kaum möglich, von jeder Plastikart und -mischung genug Messdaten zu sammeln. Vor allem, wenn es um neue oder seltene Kunststoffe geht.
Die Lösung: Simulierte Daten helfen beim Sortieren
Genau hier setzt unser neues Verfahren an: Anstatt Tausende echte Messungen durchführen zu müssen, erzeugt das Verfahren zusätzlich synthetische (also künstlich erzeugte) Spektraldaten. Diese simulierten Daten basieren auf bekannten Messwerten und physikalischen Eigenschaften der Kunststoffe. Sie helfen dabei, die KI-Modelle zu trainieren – so, als ob viel mehr echte Daten vorhanden wären. Das Ergebnis: Schon mit wenigen realen Messdaten (nur etwa 50 pro Kunststoffart) kann das System sehr zuverlässig lernen, verschiedene Kunststoffarten zu unterscheiden. Besonders spannend ist dabei, dass das neue Verfahren so nicht nur bekannte Kunststoffe erkennt, sondern auch zuverlässig fremde oder störende Materialien als „unbekannt“ aussortieren kann.
Mehr Effizienz für Recyclinganlagen
Daraus ergeben sich Vorteile für Hersteller der Sortiertechnik über Betreiber von Recyclinganlagen bis hin zu uns allen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Für die Hersteller von Sortieranlagen eröffnet sich die Möglichkeit, Deep-Learning-Modelle deutlich schneller und kostengünstiger in ihre Systeme zu integrieren. Da das neue Verfahren mit nur wenigen realen Messdaten auskommt, reduziert sich der Aufwand für die Datenbeschaffung erheblich. Gleichzeitig gewinnen die Hersteller an Flexibilität: Die Modelle lassen sich leichter auf neue Kunststoffarten anpassen. Das beschleunigt die Produktentwicklung und ist im Wettbewerb um innovative Recyclinglösungen ein Vorteil.
Auch für die Betreibenden von Recyclinganlagen ergeben sich spürbare Verbesserungen. Neue Sortierlinien können schneller in Betrieb genommen werden, weil die aufwendige Datensammlung oder Modellanpassung entfällt. Die Sortiergenauigkeit steigt, insbesondere bei Störstoffen oder unbekannten Kunststoffmischungen. Außerdem lassen sich die Systeme einfacher an neue gesetzliche Anforderungen oder veränderte Materialströme anpassen – ein wichtiger Aspekt in einem dynamischen Markt mit steigenden Anforderungen an die Kreislaufwirtschaft.
Nicht zuletzt profitiert auch die Allgemeinheit. Bessere Recyclinganlagen erhöhen die Qualität des Rezyklats – also des wiederverwerteten Kunststoffs. Dadurch wird es realistischer, aus alten Verpackungen wieder neue Produkte herzustellen, statt den Kunststoff thermisch zu verwerten oder zu deponieren. Mehr Wiederverwertung bedeutet weniger neu produziertes Plastik, ein wichtiger Schritt hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft und ökologisch sinnvoll.
Ein Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft
So trägt die THD einen wichtigen Baustein für eine nachhaltigere Kreislaufwirtschaft bei. Denn wenn Recyclinganlagen effizienter und flexibler arbeiten, lässt sich mehr Plastik sinnvoll wiederverwerten — und weniger landet in der Verbrennung oder auf Deponien.
Das Verfahren hat nicht nur großes Potenzial für den praktischen Einsatz, sondern zeigt auch dass sich moderne KI-Verfahren auch dann gut nutzen lassen, wenn wenig Daten vorhanden sind. Damit machen wir einen wichtigen Schritt, um Plastikrecycling wirtschaftlicher und nachhaltiger zu gestalten.
Das Forschungsprojekt wurde gefördert vom Bayerischen Wirtschaftsministerium und entstand in Zusammenarbeit mit der Firma Sesotec GmbH, einem Spezialisten für Sortiertechnik. Für alle die mehr wissen wollen: Pletl et al. (2025): A Plastic Classification Model Based on Simulated Data. Recycling 2025, 10, 65.
Alexander Pletl, Roman David Kulko und Benedikt Elser
Alexander Pletl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am TC Grafenau - einer Forschungseinrichtung der TH Deggendorf - und promoviert am Promotionszentrum DigiTech der Hochschule. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit dem gewinnstiftenden Einsatz von KI im Rahmen des Recyclingprozesses von Kunststoffen. Ziel seiner Arbeit ist es, höhere Recyclingquoten zu erreichen und zu einem nachhaltigen Umgang mit Plastik beizutragen.
Roman-David Kulko ist promovierter Chemiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am TC Grafenau. Seit seinem ersten Start-Up beschäftigt er sich mit der Analyse spektroskopischer Daten. Am TCG entwickelt er KI-Algorithmen, die selbständig feinste Unterschiede in spektralen Fingerabdrücken erkennen, um Materialien unterscheiden zu können.
Benedikt Elser ist Professor für „Big Data Applications” an der Technischen Hochschule Deggendorf. Am Technologiecampus Grafenau leitet er die Forschungsgruppe „Applied AI“, die mit Hilfe modernster KI Methoden Mehrwerte für Unternehmen und Gesellschaft erarbeitet.